Dirk Heinrich, Leiter des Hamburger Impfzentrums, im großen Interview
HAMBURG Ab dem 7. Juni wird die Impfpriorisierung aufgehoben. Doch der Impfstoff ist weiterhin knapp. Wie geht es weiter? Wie sicher ist die Impfung und ab wann ist ein normaler Alltag wieder möglich? Das haben wir Dr. Dirk Heinrich, den Medizinischen Leiter des Hamburger Impfzentrums und Vorsitzenden des Verbandes der niedergelassenen Ärzte (Virchowbund), gefragt.
Von Janina Fortmann
Heimat-Echo: Die Impfpriorisierung wird zum 7. Juni aufgehoben. Was halten Sie davon?
Dr. Dirk Heinrich: Es ist jetzt schon so, dass die Priorisierung an allen Ecken und Enden ausgefranst ist. Gerade für Praxen ist es zunehmend schwierig, Menschen zu finden, die der entsprechenden Priorisierungsgruppe angehören. Daher halte ich es aus praktischen Erwägungen heraus für richtig, die Priorisierung zu beenden. Ab dann ist es ein First come, first serve.
Sind Sie mit dem Fortschritt der Impfkampagne in Deutschland zufrieden?
Derzeit liegen wir bei einer Impfquote von etwa 38 Prozent, bis Ende Juni werden wir die 50 Prozent deutlich überschreiten. Da sind wir doch schon sehr weit gekommen. Das ist ein guter Fortschritt, mit dem wir zufrieden sein können. Der limitierende Faktor ist und bleibt jedoch der Impfstoff.
Ein großes Thema derzeit ist, ob es für Geimpfte Privilegien geben sollte. Wie stehen Sie dazu?
Aus Israel und Schottland wissen wir, dass Geimpfte sich nur noch selten infizieren können und dann das Virus nur zu einem sehr kleinen Prozentsatz weitergeben. Ich finde die Lockerungen für Geimpfte richtig und auch, dass man sie mit Getesteten gleichstellt. So hat man keine Bevorzugung und alle haben die Möglichkeit, von den Lockerungen zu profitieren. Die Gleichstellung nimmt der Debatte zudem Zündstoff.
Wie lange schützt die Impfung? Muss sie jährlich erneuert werden?
Das wissen wir noch nicht, denn die Beobachtungszeit ist noch nicht lang genug. Wir gehen im Moment davon aus, dass die Impfstoffe etwa neun Monate lang wirken. Dieser Rückschluss beruht auf Antikörpermessungen von Infizierten, denn Antikörper lassen sich etwa neun Monate lang bei ehemals Infizierten nachweisen.
Wird es für die Auffrischungsimpfungen ausreichend Impfstoff und Termine geben?
Nachdem, was wir von der Politik hören, sollen die Produktionskapazitäten so hoch sein und so viel bestellt worden sein, dass genug Impfstoff für alle da ist. Eine Auffrischimpfung ist zudem leichter durchzuführen als eine Doppelimpfung, daher bin ich zuversichtlich, dass die Haus- und Facharztpraxen das gut bewerkstelligen können.
Sollten auch Genesene geimpft werden?
Die Ständige Impfkommission empfiehlt, Genesene nach frühestens sechs Monaten zu impfen. Werden Sie früher geimpft, könnte es zu stärkeren Impfreaktionen kommen, da im Körper noch Antikörper vorhanden sind. Nach diesen sechs Monaten sollten Genesene meiner Meinung nachgeimpft werden, da ja durchaus die Möglichkeit besteht, sich mehrmals mit dem Corona-Virus zu infizieren und andere anzustecken. Es wird dann auch nur einmal geimpft.
In den letzten Wochen haben vermehrt Menschen den Termin für ihre Zweitimpfung nicht wahrgenommen. Macht Sie das wütend?
Ja, das ärgert mich sehr. Was kann denn derzeit wichtiger sein, als geimpft zu werden? Da fällt mir nichts ein und ich habe null Verständnis dafür. Millionen von Menschen warten darauf, endlich einen Impftermin zu bekommen. Es ist einfach dreist, nicht zum Termin zu erscheinen. Zudem bringt das den gesamten Ablauf im Impfzentrum durcheinander. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Impfzentrum wollen jeden Tag die volle Kapazität nutzen und tun alles dafür, möglichst viele Menschen zu impfen. Da wäre etwas Respekt angebracht.
Ein Blick in die Zukunft: Wann wird sich unser Alltag wieder normalisieren?
Im Sommer werden wir ein einigermaßen normales Leben draußen führen können und im Herbst wird das auch drinnen möglich sein. Dann haben wir sicherlich 60 bis 70 Prozent Geimpfte, der Rest kann sich testen lassen. Das ermöglicht einen ausreichend umfangreichen Schutz, damit Veranstaltungen innen wieder möglich sind und kein Risiko mehr darstellen.
Was sagen Sie Menschen, die noch unentschlossen sind, ob sie sich impfen lassen?
Millionen von Menschen haben die Impfung schon lange hinter sich. Auf Basis dieser Daten kann ich sagen, dass es sich um sichere Impfstoffe handelt. Zudem schützen sie sehr erfolgreich vor einer Infektion. Die sinkenden Infektionszahlen, ausbleibende Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen und das sinkende Durchschnittsalter auf Intensivstationen sind nicht nur Ergebnis des Lockdowns, sondern auch der steigenden Impfquote. Wir befinden uns in der Pandemiebekämpfung und führen hier weder Reiseimpfungen durch noch tragen wir zur Selbstoptimierung bei. Wir wollen, dass die Gesellschaft gesundet und das normale Leben zurückkehrt.
Wie kann das gelingen?
Dazu müssen alle beitragen. Die Menschen müssen sich impfen lassen, ihre Impftermine einhalten, die Zweitimpfung wahrnehmen und sich weiterhin an die Corona-Maßnahmen halten. Die gelten nach wie vor und wir sind da noch nicht wieder raus. Es wird nicht so sein, dass wir diese Erkrankung vom Erdball verbannen können, sondern sie wird vermutlich ein Dauerbegleiter werden. Und jeder, der sich heute nicht impfen lässt, wird irgendwann an Corona erkranken. Das muss man ganz klipp und klar sagen. Die Impfung ist also nicht nur als Beitrag für die Gesellschaft wichtig, sondern auch für einen selbst. Denn wir werden mit Corona leben müssen. Aber wir haben hervorragende Impfstoffe und die MRNA-Impfstoffe lassen sich schnell abwandeln, sodass Nachimpfungen leichter, besser und schneller als bisher möglich sind. Wenn man sich impfen lässt, kann man Corona für sich abhaken. Es gibt also keinen Grund, nein zur Impfung zu sagen.
Last modified: 2. Juni 2021