Idee: Finanzierung des Gemeindelebens mit dem Bau von Wohnungen
AMMERSBEK Der Schock saß tief: Ausgerechnet in der Karwoche 2016 erfuhr Pastor Ralf Weisswange, dass die Gemeinde-Standorte des Kirchenkreises Hamburg-Ost bis 2026 um ein Drittel reduziert werden sollen. Die Gebäude seiner Gemeinde im Ammersbeker Ortsteil Hoisbüttel wurden als C-Klasse eingestuft, was bedeutet, dass künftig keine Zuschüsse mehr für Bauvorhaben jedweder Art fließen werden. Den Gebäudeerhalt aber aus eigener Kraft zu stemmen, würde die Gemeinde nicht schaffen. Die Rettung: der „Kirchenpark an der Lottbek“, mit Mietwohnungen auf dem Gelände der Gemeinde.
Von Matthias Damm
Das Hoisbütteler Kirchenhaus mit seinen Nebenräumen erfüllt neben den Gottesdiensten seit vielen Jahren die Funktion eines Quartierzentrums in Ammersbek: Unabhängig von Alter, Einkommen, Herkunft und Bildungsstand nutzen zahlreiche kirchliche und nicht kirchliche Organisationen und Vereine aus der Umgebung die Räume An der Lottbek 22. Die komplette Barrierefreiheit und flexible Bestuhlung aller Räume unterscheidet den 1975 fertiggestellten Bau von den allermeisten Kirchen mit festem Gestühl. Theatervorführungen, Konzerte, Kunstausstellungen, Vorträge und gemeinsames Frühstück im Kirchenraum sind in der aktiven 1.600-Seelen-Gemeinde von Pastor Ralf Weisswange immer gut besucht: „Hier ist jeden Tag was los. Vom Konfirmandenkurs über Familientherapie-Coaching, Filmabende für Jugendliche oder Fussballübertragungen bis zum Gedächtnistraining des Ammersbeker Bürgervereins – vielfältiger kann es kaum sein.“ Etwa 100 ehrenamtliche Gemeindemitglieder kümmern sich um das lebendige Miteinander in der aktiven Gemeinschaft. Das Problem: Das alles wäre nicht mehr möglich, wenn ein Leck im Dach ist oder die Heizungsanlage ausfällt. „Denn für Reparaturen dieser Art oder gar Renovierungen bekommen wir künftig keine Gelder mehr. Und aus eigener Kraft können wir hier vor Ort die Mittel nicht aufbringen. Es wäre über kurz oder lang das Ende der Gemeinde Hoisbüttel“, so der Pastor.
Die Lösung liegt in Grund und Boden
Die Lösung zur Rettung des Gemeindezentrums liegt im Grund und Boden der Gemeinde. Warum nicht das eigene Grundstück für den Bau von Wohnungen nutzen, sodass sich aus deren Vermietung die laufenden Kosten für die Kirchenräume finanzieren lassen? Ein mutiger Schritt, für den es einen geeigneten Investor und Sozialpartner brauchte. „Den haben wir mit der „Kirchenpark an der Lottbek GmbH“ gefunden“, so Pastor Weisswange. „Wir schaffen auf unserem Gelände dringend benötigten, bezahlbaren und barrierefreien Miet-Wohnraum, erhalten das Kirchenschiff und den Charakter des Quartiers und retten das Gemeindeleben.“ Ein Win-win-Projekt, das bei seiner öffentlichen Vorstellung im Juni nicht nur bei den Ammersbekern auf ein durchweg positives Echo stieß. Auch andere Kirchengemeinden mit ähnlicher Problematik interessieren sich inzwischen für diese Alternative.
An der Lottbek ist die Bebauung so geplant, dass bei angemessener Baukörperhöhe und größtmöglichen Abständen zu den Nachbarn etwa 15 Mietwohnungen entstehen sollen. Ein Teil der Mieteinnahmen würde dann der Gemeinde zustehen, die damit den Unterhalt ihrer Gebäude absichert und finanziell unabhängig wäre. „Das Interesse an dem geplanten neuen Wohnraum ist wie erwartet riesig“, sagt Projektpartner Mike Hemmerich von der Kirchenpark an der Lottbek GmbH. „Wir könnten die meisten Wohnungen direkt heute vermieten.“
Wie bei jedem Bauvorhaben gab es auch beim Projekt Kirchenpark an der Lottbek kritische Stimmen und Einwände, die bei einer öffentlichen Vorstellung im Juni aber bereits berücksichtigt wurden. Pastor Weisswange und Mike Hemmerich gehen noch einen Schritt weiter und wollen in einem Workshop-Verfahren im September den Anwohnern und Vertretern unterschiedlicher Interessengemeinschaften die Möglichkeit geben, das neue Quartier aktiv mitzugestalten, sowie Vorschläge und Wünsche einzubringen.
„Kirche ist Kirche, wenn sie für andere da ist“
Ralf Weisswange ist als vielbeschäftigter Seelsorger mittlerweile in drei Gemeinden aktiv und freut sich über die greifbar nahe Möglichkeit, nicht nur seine Gemeinde zu erhalten, sondern allen Ammersbekern künftig sogar noch mehr Räume für ein soziales Miteinander anbieten zu können. „Kirche ist nur Kirche, wenn Kirche auch für andere da ist“, zitiert der engagierte Pastor den Theologen Dietrich Bonhoeffer.
Läuft alles wie vorgesehen, werden nach einem Jahr Planung und weiteren zwei Jahren Bauzeit die Wohnungen bezugsfertig und die Gemeinde gerettet sein.
Last modified: 11. August 2021