Iryna Boganjuk vom Gut Wulksfelde hat Schwester und Neffe aus der Ukraine geholt
TANGSTEDT Manchmal führt der Krieg Familien zusammen, wie im Fall von Iryna Boganjuk. Die 32-jährige Ukrainerin lebt seit 2013 in Deutschland. Sie absolviert ein duales Studium auf Gut Wulksfelde und hat den großen Hilfstransport des Gutes mitorganisiert. Sie hilft, wo sie nur kann. Jetzt ist ihre Familie aus Kyiiv, wie Kiew auf ukrainisch heißt, geflohen und lebt bei ihr in Norddeutschland.
Von Stephanie Rutke
Bei weitem nicht alle Kriegsflüchtlinge haben Verwandte oder Freunde, die sie in dieser schweren Zeit bei sich zu Hause aufnehmen. Sie starten nach der Flucht in eine ungewisse Zukunft, die für viele in einer Massenunterkunft beginnt. Die Stadt hat einen Krisenstab eingerichtet, um alle Menschen zu versorgen und unterzubringen.
2000 Plätze in den Messehallen
Bis Mitte April werden in den Messehallen rund 2.000 Plätze zur Verfügung stehen. Sie sind nur als Zwischenunterbringung gedacht, bis die Menschen ihre ausländerrechtliche Registrierung und anschließende Zuweisung auf andere Unterkünfte erhalten. Viele Privatleute bieten ebenfalls Unterkünfte an. Iryna Boganjuk lebt seit 2013 in Deutschland. Sie absolviert ein duales Studium auf Gut Wulksfelde in der Gutsküche, wo sie BWL und Gastro-Management studiert. Sie ist jetzt im Einsatz für die eigene Familie: Seit zwei Wochen sind ihre Schwester Kateryna, deren Sohn und Schwiegermutter bei ihr. Die Familie ist vor dem Krieg aus Kyiiv geflohen.
Der Ehemann und Vater von Iryna musste zurückbleiben. Obwohl sie erst so kurze Zeit in Deutschland sind, haben die drei schon eine Wohnung gefunden. Der zwölfjährige Savva besucht bereits die Schule und seine Mutter lernt Deutsch im Onlinekurs.
Kyiiv ist der ukrainische Name der Landeshauptstadt Kiew. Da die russische Schreibweise Kiew ist, legt Iryna Boganjuk wie viele ihrer Landsleute großen Wert auf die ukrainische Schreibweise.
Kurze Wege und wenig Bürokratie
„Die Hilfsbereitsschaft ist sehr groß“, freut sich Iryna Boganjuk. Vieles sei einfach, weil sie gut vernetzt ist und in einem Dorf wohnt. Die Wege sind kurz, die bürokratischen Hürden niedrig und die Hilfe kommt von allen Seiten schnell.
Die Flucht aus dem vom Krieg bedrohten Kiew hat insgesamt elf Tage gedauert. Jetzt richten sich Kateryna Zhytkevych, ihr Sohn Savva und Schwiegermutter Svitlana Zhytkevych in ihrem neuen Leben ein.
„Gleich nach den ersten Angriffen am 24. Februar ist im Nachbarhaus meiner Schwester in Kyiiv eine Rakete eingeschlagen“, erzählt Iryna Boganjuk. Ihr Schwager Nazar Zhytkevych, der für eine Marketingfirma in Kiew arbeitet, war zu diesem Zeitpunkt mit schwedischen Journalisten unterwegs. Seine Firma hat die Landeshautpstadt verlassen und arbeitet jetzt von einem Ort an der slowakischen Grenze aus.
„Kyiiv war nicht mehr sicher und meine Schwester hat dann beschlossen, die Stadt zu verlassen“, erzählt Boganjuk. Die Flucht begann mit großen Herausforderungen: Die 39-jährige Kateryna hat zwar einen Führerschein, ist aber seit zehn Jahren nicht mehr Auto gefahren. Ihr Mann hat ihr am Telefon erklärt, wie das Auto funktioniert. Zusammen mit einer befreundeten Familie haben sich Mutter, Sohn und die 63-jährige Schwiegermutter in zwei Autos auf den Weg gemacht. Auch ihre Haustiere, die Katze Basja und den Hund Molly, haben sie mitgenommen.
Statt zweieinhalb zwölf Stunden Fahrt
Den ersten Stopp haben sie nach zwölfstündiger Fahrt eingelegt. „Eigentlich dauert diese Tour von Kyiiv nach Berdytschiw sonst nur zweieinhalb Stunden“, erzählt Boganjuk. Weil die Frauen sich für Umwege entschieden haben und so viele andere Autos unterwegs waren, ging es nur langsam voran.
Nächste Station war Ternopil, wo alle in einer Kirche auf dem Fußboden geschlafen haben. Schließlich hat die Familie den Vater in Uschgorod an der ukrainisch-slowkakischen Grenze wieder getroffen. Hier stand zwar für einige Tage ein Haus zur Verfügung, aber es wurde von sieben Familien bewohnt. „Die Versorgung war nicht sicher“, so Boganjuk, „Deshalb habe ich meiner Schwester gesagt, dass sie nach Deutschland weiterfahren und zu mir kommen soll.“
Iryna Boganjuk ist ihrer Schwester entgegen gefahren und hat sie in Krakau in Empfang genommen und nach Leezen gebracht, wo sie wohnt. Elf Tage nach den ersten Angriffen auf Kiew war die Familie in Sicherheit in Schleswig-Holstein. Zunächst sind alle in der Doppelhaushälfte von Iryna Boganjuk, die hier mit ihrem Mann und der fünfjährigen Tochter lebt, untergekommen.
Mittlerweile leben die drei Flüchtlinge bereits in einer eigenen Mietwohnung, die mit dem Nötigsten möbliert war. „Wir haben sehr viele Spenden erhalten, alle helfen mit“, freut sich die Studentin. Ihr Neffe Savva, der schon in der Ukraine Deutsch gelernt hat und auch gut Englisch spricht, besucht bereits die Schule. Schulranzen und Material wurden gespendet. Er ist nicht das einzige Flüchtlingskind aus der Ukraine – ein weiterer Junge ist in seiner Klasse, der ein ähnliches Schicksal hat.
Schulstart und Deutschunterricht
„Meine Schwester Kateryna hat wie ich ebenfalls BWL studiert und in Kiew eine Ausbildung zur Designerin und Inneneinrichterin begonnen“, erzählt sie. Jetzt wird sich Kateryna Zhytkevych einen Job suchen, um selbst Geld zu verdienen und nicht abhängig zu sein. Einen Online-Deutschkurs besucht sie bereits. Hilfe bei der Jobsuche hat Matthias Gförer, Geschäftsführer der Gutsküche, signalisiert.
Innerhalb von vier Wochen muss das Leben komplett neu organisiert werden. „Die Stimmung ist gestresst, alle sind angespannt aufgrund der psychischen Belastung“, sagt Iryna Boganjuk. Wann ihre Schwester in ihre Heimat zurückkehren kann, ist ungewiss. Ihr Wohnhaus soll noch unversehrt sein. Jetzt muss sich die Familie auf ein Leben in Deutschland einrichten.
Last modified: 6. April 2022