21 Bewohner des Volksdorfer Seniorenheims am Lerchenberg betroffen
VOLKSDORF Schock für die Angehörigen: Ein Volksdorfer Seniorenheim muss seinen Bereich für vollstationäre Pflege schließen. Der Grund ist Personalmangel. Nun gilt es, für 21 Bewohnerinnen und Bewohner binnen zwei Monaten neue Pflegeplätze zu finden.
von Marius Leweke
Das Kündigungsschreiben kam für die Eltern von Kerstin W.* überraschend. Mit Wirkung zum 31. Juli 2022 wurde den beiden Senioren, 92 und 83 Jahre alt, der Platz im Pflegebereich der Residenz Lerchenberg gekündigt. „Meine Mutter ist erst vor drei Monaten dort eingezogen“, so Kerstin W. zum Heimat-Echo, „und die beiden haben sich dort wohl gefühlt.“ Jetzt heißt es, schnellstmöglich eine andere Unterkunft finden, „aber die meisten Pflegeheime sind voll“.
Kündigung kam sehr kurzfristig
Auch Claudia R.*, als Angehörige ebenfalls indirekt von der Kündigung betroffen, wurde von dem Schreiben überrascht. „Es wäre nett gewesen, wenn man uns früher kontaktiert hätte“, meint sie. Sie plagt nicht nur die Sorge, möglichst rasch einen neuen Pflegeplatz zu finden und wie die älteren Herrschaften den Umzug verkraften, sondern auch die Pflegesituation in Volksdorf, wo der Anteil älterer Menschen höher ist als in anderen Stadtteilen. „Wenn gerade hier eine Pflegestation mit mehr als 20 Plätzen schließt, entsteht eine große Lücke.“
Dass die Verträge mit nur zwei Monaten Frist kündbar sind, ist laut Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WVBG) rechtens. „Es war für uns eine sehr schmerzliche Entscheidung, den Pflegebereich zu schließen“, sagt Petra Kraft, Geschäftsführerin der Residenz Lerchenberg. Aber ein kleiner stationärer Pflegewohnbereich wie in ihrem Haus sei „unter den bestehenden, nicht anpassbaren Versorgungsverträgen der Pflegekassen weder qualitativ angemessen noch kostendeckend zu betreiben“. Jetzt werden die frei werdenden Räume in Appartements für betreutes Wohnen umgebaut.
Pflegekrise: Immer weniger Heimplätze in Hamburg
Petra Kraft und ihr Team helfen den von der Schließung betroffenen Bewohnern aktiv bei der Suche nach neuen Pflegeplätzen. Drei der 21 Bewohner, deren Gesundheitszustand es erlaubte, ziehen innerhalb des Hauses in den Bereich für betreutes Wohnen um. Dort kümmert sich der zum Haus gehörenden ambulante Pflegedienst weiter um die Senioren.
Doch bis für alle Betroffenen ein neuer Platz gefunden ist, wird es noch Zeit und Mühe kosten. Kerstin W. möchte, dass ihre Eltern zusammenbleiben können. „Das sind dann schon zwei Plätze, die wir im selben Heim bräuchten“, rechnet sie vor. Hinzu kommt, dass das Pflegeangebot in Hamburg schrumpft. Standen 2019 noch rund 18.200 Plätze zur vollstationären Pflege bereit, sind es aktuell nur noch 16.900. Dabei geht die Sozialbehörde davon aus, „dass die vorhandene Platzzahl bedarfsdeckend ist“. Bei einer Schließung sei die betroffene Einrichtung verpflichtet, sich um die bedarfsgerechte weitere Unterbringung ihrer Bewohner zu kümmern. Zudem helfen die Pflegestützpunkte den Angehörigen unabhängig von der Einrichtung bei der Suche nach einem neuen Zuhause.
Hoher Krankenstand und große Fluktuation
Nicht nur in Hamburg macht der Pflegebranche überdies der hohe Krankenstand zu schaffen. Laut einer aktuellen Analyse der Techniker-Krankenkasse fehlen Beschäftigte in der Altenpflege krankheitsbedingt im Schnitt 23,5 Tage im Jahr. Die meisten litten unter Muskel/Skelett-Erkrankungen und psychischen Erkrankungen. Zum Vergleich: Branchenübergreifend registrierte das Unternehmen unter seinen 5,5 Millionen Versicherten 13,8 Krankheitstage.
Daneben ist die Fluktuation unter den Beschäftigten im gesamten Pflegewesen groß – was auch Angehörige von Bewohnern der Residenz Lerchenberg registrierten. Es seien ständig Pflegekräfte von externen Personaldienstleistern eingesetzt worden, heißt es. Man wolle deren Arbeit nicht abwerten, die Pflege sei gewährleistet gewesen, aber man hätte sich mehr Kontinuität bei den Pflegenden gewünscht. Dieser dauerhafte Einsatz von Zeitarbeit um die Bewohnerversorgung sicherzustellen, formulierte dann auch die Leitung der Residenz in ihrem Kündigungsschreiben, sei weder qualitativ wünschenswert noch wirtschaftlich dauerhaft möglich.
Pflege nicht in Privathand lassen
Angesichts der persönlichen Folgen einer gesamtgesellschaftlichen Krise – die Menschen werden älter, der Pflegeberuf aber nicht attraktiver – fragt sich Kerstin W. nun, ob es eine gute Idee ist, die Pflege älterer Menschen so stark in die Hände privatwirtschaftlich geführter Unternehmen zu legen. „Vielleicht wäre es besser, gemeinnützige Organisationen noch stärker einzubinden, die weniger auf den Profit schauen.“
*Namen sind der Redaktion bekannt
Last modified: 8. Juni 2022