Finanzsenator Dr. Andreas Dressel (SPD) im Gespräch mit dem Heimat-Echo
POPPENBÜTTEL Finanzsenator Dr. Andreas Dressel (SPD) war zu Gast beim Heimat-Echo. Wir haben mit ihm über die Auswirkungen von Corona auf die Finanzen der Stadt gesprochen, ihn gefragt, wie er persönlich die letzten Monate erlebt hat und erfahren, wie die Stadt dem Mittelstand im Alstertal und den Walddörfern hilft.
Von Susanne Holz
Das Jahr war für das Heimat-Echo außergewöhnlich. Auf die letzte Ausgabe im Funke-Verlag folgte Wochen später die erste in Eigenregie. Und das in ganz besonderen Zeiten. Wie haben Sie das Jahr erlebt?
Dr. Andreas Dressel: In diesem Jahr war alles anders. Ich mag die Herausforderung, habe vielleicht ein kleines Helfersyndrom (lacht). Als Ende März die Corona-Krise losging, war sofort die Frage: Wo können wir anpacken und unterstützen? Es ging darum, die Soforthilfe schnell gängig zu machen, für Hamburg einen Schutzschirm aufzuspannen. Da macht es sich sehr bezahlt, dass wir im Senat ein gutes Team sind. Der Wirtschaftssenator, der Kultursenator und ich haben uns untergehakt und geschaut, wie wir schnell helfen können.
Wie ging es nach der ersten Aufregung weiter?
Ich bin im Sommer in vielen Institutionen gewesen, die Soforthilfe bekommen haben. Ich habe selbst geschaut, ob das Geld angekommen ist und habe die Betroffenen gefragt, was wir noch besser machen können. Mir war immer bewusst, dass es um Menschen, Arbeitsplätze und Familienschicksale geht. Es ist gut, dass wir – mit Abstand – untereinander im Gespräch sind.
Sind Sie auch ein bisschen stolz darauf, dass die Politik in dieser Ausnahmesituation so schnell reagiert hat? Und hätten Sie das für möglich gehalten?
Ich bin vor allem stolz auf die Mitarbeiter, die die Soforthilfe so schnell auf den Weg gebracht haben. Da haben Mitarbeiter aus der Steuerverwaltung und dem Rechnungshof, die im Normalbetrieb etwas ganz anderes machen, sich spontan wochenlang Arbeitszeit freigeschaufelt, damit die Menschen schnell Hilfe bekommen. In der neuen Sondereinheit für Kontaktnachverfolgung arbeiten jetzt Mitarbeiter aus dem Polizeiorchester und meine Kollegen aus der Spielbankaufsicht. Das zeigt auch, wieviel Power in der Stadt steckt, bei den Beschäftigten, in unserer Verwaltung, die auch improvisieren können und sich den Herausforderungen stellen.
„Aktuell zeigt sich, wieviel Power in der Stadt steckt, bei den Beschäftigten, in unserer Verwaltung“
Dr. Andreas Dressel (SPD)
Mittlerweile beläuft sich die Hilfe auf Milliarden. Hätten Sie es Anfang des Jahres für möglich gehalten, dass Sie als Finanzsenator spontan mit solchen Summen jonglieren müssen?
Das ist auch ein bisschen tragisch, weil ich im letzten Jahr noch einen Tilgungsrekord hingelegt habe. Ich wollte zum Ende der letzten Wahlperiode eine ordentliche Schlussbilanz vorlegen. Wir waren auf 23 Milliarden Verschuldung runtergegangen, was auch schon viel ist. Jetzt sind wir vom Rückwärtsgang in den Vorwärtsgang gegangen. Und da muss man immer im Blick haben, dass das irgendwann zurückgezahlt werden muss und zwar von uns allen. Es läuft auch nicht mehr so wie früher, dass man Schulden macht, die auf einen großen Haufen kommen und irgendwann mal abbezahlt werden. Diese Corona-Schulden haben wesentlich strengere Tilgungsregeln, ich muss 2025 anfangen, diese zurückzuzahlen.
Wie sieht Ihre Strategie aus?
Man muss gucken, dass man so viel Geld aufnimmt, wie man jetzt braucht, um die Krise zu bewältigen. Aber so, dass es einem nicht ein paar Jahre später die Handlungsfähigkeit abschnürt. Das muss man miteinander abwägen. Wir haben es bislang ganz gut hinbekommen. Wichtig ist, dass wir nicht in die Krise hineinsparen, und immer auch den Grundsatz beherzigen, dass die Schulden von heute auch die Steuereinnahmen von morgen sind. Das heißt, jedes Unternehmen, das ich jetzt rette, sorgt auch dafür, dass es am Ende auch um meine Kasse besser bestellt ist. Und dass ich in der Folge nachher nicht noch mehr für Transferleistungen zahlen muss.
Es geht um Milliarden. Wie lange kann Hamburg das auf diesem Level durchhalten. Und was bedeutet es für die Zukunft Hamburgs?
Wir haben jetzt gesagt, dass wir die Notsituation, die man braucht, um solche Notkredite in Anspruch zu nehmen, für 2021 und 2022 noch bejahen. Das haben wir gemacht, bevor es die zweite Welle gab. Insofern haben wir die ein bisschen antizipiert, das war klug. Wir sehen an ganz vielen Indikatoren, dass es in Hamburg noch ein Stück länger dauern könnte, bis die Auswirkungen beseitigt sind, weil wir mit besonderen Branchen besonders betroffen sind. Denken Sie an die Luftfahrtbranche, Kultur, Freizeit, Tourismus. Die Einschläge sind hier schon härter gewesen als andernorts. Deswegen dauert auch die Krisenbewältigung etwas länger.
In welchen Zeiträumen denken Sie?
Wir müssen gucken, dass wir in 2021/22 die wesentlichen Weichenstellungen vorgenommen haben. Ewig kann man die Notlage nicht verlängern. Man muss seine Strukturen so aufstellen, dass man gewappnet ist für die Zeit danach. Und das wird dann auch kein leichter Gang, weil die Notkredite dann nicht mehr da sind, die Aufgaben aber schon.
Über welche Summen reden wir?
Ab 2022 wird es so sein, dass wir 250 Millionen Euro zusätzlich erwirtschaften, letztendlich konsolidieren müssen. Also mehr einnehmen oder gezielt sparen. Wo, das überlasse ich den einzelnen Behörden selbst. Bis sich das aus unserer Finanzplanung rauswächst, werden sicherlich einige Jahre vergehen. Das muss jeder wissen: Finanzpolitisch wird uns die Hypothek von Corona noch ein bisschen länger begleiten – selbst dann, wenn Corona schon längst als Krankheit vergessen ist.
Und ganz konkret: Wie lange wird Corona nachwirken? Fünf, zehn, 15 Jahre?
Zwischen fünf und zehn Jahren. Deswegen haben wir immer gesagt, es gibt wie in der Bibel sieben fette und sieben magere Jahre. Jetzt kommen die sieben mageren.
Was erwarten Sie jetzt vom Bund?
Die Bundesebene hat am Anfang sehr gepowert und uns 2020 mit ganz vielen Sachen unterstützt, beispielsweise beim Einbruch der Gewerbesteuer. Er hat uns bei der Mehrwertsteuersenkung die Einnahmeausfälle und die Verluste im ÖPNV mit ausgeglichen. Zugleich hat er Maßnahmen getroffen, die für sich genommen gut sind, deren Mehrkosten aber die Länder und Kommunen tragen müssen, Beispiel Familienentlastungsgesetz. Wenn man das alles mal in eine einfache Tabelle schreibt, sieht man, dass von den Bundeshilfen nicht nur nichts mehr da ist, sondern wir auch noch draufzahlen – geschätzt 200 bis 300 Millionen Euro, die in unserem Finanzplan nicht vorgesehen sind. Ich sage in Richtung Bund: Wer bestellt, muss auch bezahlen. Klar ist, wir werden noch harte Jahre vor uns haben.
„Wir müssen jetzt die Händler vor Ort unterstützen und mit unserem Korb dort einkaufen gehen.“
Dr. Andreas Dressel (SPD)
Kultur und Gastronomie leiden aktuell massiv. Gibt es Hoffnung?
Allein in den Bereich Kultur sind fast 100 Millionen Euro geflossen. Generell haben wir geguckt, wo hilft der Bund, wo müssen wir für Hamburg noch passgenau Hilfe anbieten. Weil Standardhilfe nicht für jeden passt, haben wir auch kleinteilige Lösungen gesucht, beispielsweise Schaustellern ermöglicht, kostenlos Schmalzkuchenwagen aufzustellen. Die Außengastronomie durfte erweitern. Wir haben glaube ich, alle Probleme in den Blick genommen.
Wie sieht es mit dem Mittelstand aus? Wie wird er unterstützt?
Ein wichtiger Punkt. Im November startet ein Paket, das den Mittelstand in den Blick nimmt. Wir nehmen eine Milliarde Euro in die Hand und bieten an, in von Corona betroffenen Unternehmen stiller Teilhaber zu werden. Nicht um im Aufsichtsrat zu bestimmmen, sondern um zu helfen. Hier, beim Heimat-Echo möchte ich auch den Mittelständlern aus den Walddörfern und dem Alstertal zurufen, diese Hilfe anzunehmen. Nutzen Sie dieses Instrument, sprechen Sie die Stadt und die Förderbank an. Es würde uns sehr freuen, wenn es auch im Alstertal und den Walddörfern hilft, Unternehmen zu retten, die in Schieflage geraten sind.
Wie funktioniert die Hilfe konkrekt?
Wir als Stadt kaufen keinen Anteil an der Firma, sondern geben eine Eigenkapitalspritze, um das Unternehmen wieder kreditwürdig zu machen. Vorab werden diese von großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf Herz und Nieren geprüft. Das muss sein, es handelt sich um Steuergeld. Ich kann nur ermutigen, das zu nutzen. Wir machen das, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Mit wie vielen Unternehmen rechnen Sie, die Unterstützung beantragen?
Es geht um Unternehmen, die zwischen 50 und 250 Mitarbeiter haben. Das sind in Hamburg zwischen 1000 und 1500 Unternehmen, die aktuell auf dem Zahnfleisch gehen. Die Untergrenze für die Eigenkapitalspritze liegt bei 800.000 Euro, alles darunter rechnet sich nicht, weil die Managementkosten so hoch sind. Die Hilfe kann grundsätzlich bis zu zehn Millionen Euro betragen.
Wie lange reicht das Geld im Fonds? Wie viele Unternehmen können sich bewerben?
Dressel: Wir sind in der Lage, als stiller Teilhaber bei etwa zehn Prozent dieser rund 1.500 Firmen einzusteigen. Für alle Firmen, die weniger als 50 Mitarbeiter haben, gibt es den sogenannten Corona Recovery Fonds. Hier sprechen wir innovative Startups und wachstumsorientierte, kleine Mittelständler an. Die maximale Fördersumme beträgt hier 800.000 Euro.
Sie leben in Volksdorf und sind dort nicht nur als Finanzsenator, sondern auch als Privatmann unterwegs. Wie begegnen Ihnen die Menschen? Haben Sie Verständnis für alle Maßnahmen, sind einige verärgert?
Natürlich sind viele Leute echt getroffen, weil für sie eine Welt zusammengebrochen ist. Sie haben sich auf die Situation eingestellt, sind in ihren Geschäften kreativ geworden, haben Hygienekonzepte erarbeitet. Für sie ist es jetzt bitter, dass man jetzt wieder diesen Gang zurückschalten musste.Ich habe aber an keiner Stelle Wut auf uns in der Politik gespürt. Sie erkennen an und sehen, dass die Politik sich kümmert, zuhört. Und die Betroffenen wissen, dass auch wir nicht zaubern können, aber Verbesserungen erreichen möchten. Hamburg ist eine verständige Stadt, die weiß, worauf es jetzt ankommt.
Was überwiegt denn? „Herr Dressel, so geht‘s nicht?“ oder „Gut gemacht!“
Eher letzteres. In der Schlange beim Bäcker höre ich: durchhalten, weitermachen, vielen Dank! So etwas motiviert mich, weiterzumachen und zu sagen: Wir kriegen das hin . Hamburg hat die Kraft, die Leistungsfähigkeit und die Power, aus dieser Krise langfristig gestärkt herauszugehen.
Corona ist bei uns allen DAS Gesprächsthema. Wie erleben Sie es im Familien- und Freundeskreis?
Wir haben drei Kinder an drei verschiedenen Schulen. Täglich haben wir die Fragen: Was ist erlaubt? Was sollte man lieber nicht tun? Wer ist wo, wie und warum in Quarantäne und wie lange? Es ist ein bestimmendes Thema und trotzdem sollte man gucken, wie man damit kreativ umgeht. Wir haben beispielsweise in diesem Jahr keinen Urlaub außerhalb von Deutschland gemacht. Ganz ehrlich, das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass wir Sommerurlaub im Erzgebirge machen.
Wie hat Ihnen der Urlaub im eigenen Land gefallen?
Das war total schön, wunderbar. Im Herbst wollten wir eigentlich nach Korsika, jetzt ist es Usedom geworden. Es war sehr schön, auch wenn wir nicht mehr baden konnten. Ich glaube, genau wie meine Familie und ich haben viele Menschen Urlaub in Deutschland schätzen gelernt. Als wir Mitte des Jahres nicht nach Schleswig Holstein fahren durften, sind wir an die Bunthäuser Spitze gefahren, dorthin, wo sich Norder- und Süderelbe treffen. Ich habe mich gefragt: Ist das noch Wilhelmsburg? Wunderschön.
Was tun Sie persönlich konkret, um in der Corona-Zeit zu helfen?
Ich bin zu Hause immer der, der sagt: Lasst uns doch mal gucken, welchen örtlichen Lieferdienst von welchem Restaurant wir mal ausprobieren könnten. Ich habe im Volksdorfer Ortskern gesehen, dass jeder zweite Laden ein tolles Außer-Haus-Angebot hat. Der eine hatte auf seinem Parkplatz Pizzabäckerwagen aufgestellt. Das ist die Kreativität, die wir brauchen, um mit so einer Situation umzugehen. Ich kann nur sagen: Bestellt Eure Pizza nicht übers Internet, kauft vor Ort.
Es ist das Motto: Support your local Business.
Genau! Ich wünsche mir, dass die Leser des Heimat-Echos nicht alles bei Amazon bestellen, weil es so praktisch ist, sondern jetzt unsere Läden im Alstertal und den Walddörfern unterstützen. „Support your local business“ ist das beste Konjunkturpaket, das wir selbst schnüren können, indem wir unseren Einkaufskorb nehmen und dort hingehen. Wenn wir die lokale Wirtschaft erhalten, freut mich das auch als Finanzsenator, denn dann bleiben die Steuereinnahmen erhalten. Wir selbst müssen dafür sorgen, dass die Innenstädte nicht aussterben.
Welche Schlagzeile möchten Sie in diesem Jahr noch im Heimat-Echo lesen?
„Super, dass wir es hingekriegt haben!“ Das gilt dann für das Heimat-Echo und die Politik gleichermaßen. Das Heimat-Echo hat ein furioses Comeback hingelegt und die Politik einen Rettungsschirm gespannt.
Vielen Dank für das Gespräch!
So bekommen Sie schnell Novemberhilfe
Informationen zur Corona-Hilfe für Unternehmen gibt es unter anderem auf der Internetseite der Hamburgischen Investitions- und Förderbank: www.ifbhh.de.
Wer wann und in welchem Umfang die sogenannte Novemberhilfe beantragen kann, erfahren Interessierte auf www.hamburg.de, Stichwort „Coronavirus – Informationen für Unternehmen“
Last modified: 17. Dezember 2020