Dieses Turnier spaltet die Gemüter – Freundeskreise und Fan-Clubs uneins
WALDDÖRFER/ALSTERTAL Fahnen-Meere, Autokorsos, Jubelschreie – so wünscht man sich eine Fußball-WM. Stattdessen überschlagen sich die Negativ-Schlagzeilen. Viele nennen sie schon die „Weltmeisterschaft der Schande“. Darf und sollte man trotzdem gucken? Dazu gibt es auch in den Walddörfern und im Alstertal unterschiedliche Ansichten.
Am Mittwoch, dem Erscheinungstag des Heimat-Echo, wird um 14 Uhr das Spiel Deutschland gegen Japan angepfiffen. Es folgt am 27. November das Spiel gegen Spanien, am 1. Dezember tritt die Deutsche Nationalmannschaft gegen Costa Rica an. Bislang war bei Weltmeisterschaften klar: Das guckt man! Selbst jene, die mit Fußball nicht so viel am Hut haben, jubelten mit. Doch diese Einheit bröckelt gewaltig. Das Thema Fußball-WM spaltet Freundeskreise und Fan-Clubs.
One-Love-Binde kommt nicht zum Einsatz
Die Debatte hatte noch einmal an Fahrt aufgenommen, als klar wurde, dass wegen Sanktions-Drohungen weder die Deutsche Nationalmannschaft noch sieben andere europäische Länder die „One Love“-Binde tragen werden, die ein Zeichen gegen Homophobie, Antisemitismus und Rassismus und auch für Menschenrechte und Frauenrechte sein sollte.
Erste Sponsoren ziehen sich zurück
Die Supermarkt-Kette REWE reagierte als erste und zog sich am Dienstag aus der Kooperation mit dem Deutschen Fußball-Bund zurück. Kurz vor Redaktionsschluss des Heimat-Echo zeichnete sich ab, dass weitere große Unternehmen nachziehen könnten. Doch wie halten es die Menschen im Alstertal und in den Walddörfern? Schauen oder abschalten?
Die Meinungen sind geteilt. Politik ist Politik, Sport ist Sport, sagen die einen. Andere sind noch unschlüssig, gucken nur die deutschen Spiele oder verzichten schweren Herzens auf das Schauen, um ein Zeichen zu setzen.
Leicht macht sich niemand diese Entscheidung. Was sage unsere eigenen Sportredakteure und andere fußballbegeisterte Leserinnen und Leser?
Gucken oder weggucken?
Kein geeignetes
Ausrichterland
Ich werde die WM-Spiele
gucken – auch wenn ich davon
überzeugt bin, dass Katar
kein geeignetes Ausrichterland
ist und ich werde nicht
müde, meine ablehnende
Haltung kundzutun. Die
jeweils 26 Spieler aus 32
Nationen spielen allerdings
nicht für Menschenrechte
oder gegen verbrecherische
Geschäftspraktiken. Meine
Haltung zu diesen Themen ist
eindeutig und nicht verhandelbar.
Als Fußballfan lehne
ich es deshalb ab, wenn mein
Nicht-Boykott als politische
Parteinahme verstanden wird.
So freue ich mich auf sportliche
Überraschungen, neue
Shooting Stars, geschmuggelte
Regenbogenfahnen
und auf völkerverbindende
Fan-Choreografien. Als
Sportredakteur werde ich vor
skurrilen Pressekonferenzen
und künstlicher WM-Euphorie
nicht die Augen verschließen.
Sebastian Conrad, Sportjournalist
aus Wiemerskamp
Respekt vor dem
iranischen Team
Eigentlich hätte die Fifa die
WM nicht an Katar vergeben
dürfen. Aktuell die Geschichte
mit der Kapitänsbinde war
ein Desaster. Die Corona-Pandemie
und der Angriffskrieg
auf die Ukraine belasten sehr,
aber ich bin der Meinung,
man sollte die Freude an den
Spielen behalten – trotz der
schwierigen Situation bezüglich
der Menschenrechte in
Katar, der ich mir sehr bewusst
bin. Vor der iranischen Mannschaft,
die die Nationalhymne
nicht mitgesungen hat, habe
ich großen Resepkt. Ich bin
selbst Fußballer und werde
die Spiele zusammen mit meinen
Fußballkollegen durchaus
mal gerne in der Vereinskneipe
ansehen.
Andy Lindemann,
Grafiker Poppenbüttel
Mit Familie und
Freunden
Ich bin noch unschlüssig, ob
ich mir diesmal WM-Spiele
anschaue. Einerseits freue
ich mich darauf, andererseits
steht die Tatsache, dass Katar
der Gastgeber ist, im Konflikt
mit meinen moralischen
Überzeugungen. Wenn ich
überhaupt schaue, treffe ich
mich dazu mit Familie und
Freunden.
Jana Josefin David,
Geschäftsführerin des
„Stüffelshop“ im Walddörfer
Rondell, Volksdorf
Das Fußballerherz
blutet
Die FIFA hat es mit dem
Vergabeverfahren für diese
WM auf die Spitze getrieben.
Die ganzen Kampagnen des
Verbandes wie „Fair Play“,
die Aussagen, wonach Sport
und Politik getrennt werden
müssen, klingen vor dem
Hintergrund dieser WM wie
blanker Hohn. Ich bin mir
jedoch bewusst, dass ich mit
meinem Boykott – der mir in
meinem Fußballherz wehtut – nur einen minimalen Beitrag
zum Umdenken leiste.
Joachim Floryszak, Leitender
Verwaltungsbeamter
Die Gesellschaft
wachrütteln
Ich verurteile die Menschenrechtsverletzungen
in Katar. Die Auseinandersetzung mit
der Thematik sollte höchste
Priorität haben. Trotz Statements der FIFA und der Veranstalter selbst, die beschämend und unangemessen sind,
werde ich einige Spiele der
WM gucken, in der Hoffnung,
dass der Fußball die Menschen
verbindet. Generell erhoffe
ich mir Solidarität und die
Aufmerksamkeit der ganzen
Welt, um Teile der Gesellschaft
wachzurütteln.
Luica, Lehrerin aus
Lemsahl-Mellingstedt
Zu viele Widersprüche
Der Widerspruch zwischen den ständigen Versprechungen der FIFA und den tatsächlichen Aktivitäten sind so kolossal, dass wir den Fernseher auslassen werden!
Sabine Parr, Personalmanagerin
Zuschauen mit
mulmigem Gefühl
Ich werde nur die Spiele
mit deutscher Beteiligung
gucken. Und das auch mit
einem äußerst mulmigen
und kritischen Gefühl. Mehr
nicht.
Wolfgang Posdziech,
Volksdorf
Gucke nur die
deutschen Spiele
Wir schauen nur die Spiele der
deutschen Mannschaft. Ich
freue mich auf die familienfreundliche
Zeit. Vielleicht
kommt ja noch mehr Euphorie
auf. Das wir mit Sicherheit an
unseren Jungs liegen.
Torsten Neumann, Sportredakteur
aus Hoisdorf
Last modified: 23. November 2022