Walddörferbahn: Bürgerschaft und Hochbahn gelang großer Wurf
Weitsicht vor über 100 Jahren: Bereits 1912 traf der Hamburger Senat mit der Anbindung der Walddörfer an die Hochbahn-Ringstrecke eine verkehrspolitisch und stadtplanerisch bedeutende Entscheidung.
Von Matthias Damm
Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs Hamburg stark. Die Idee des Senats, neben anderen Stadtteilen auch die Walddörfer mit einer Bahnverbindung für eine Besiedlung interessanter zu machen, war entsprechend folgerichtig.
Zwar gab es schon seit 1904 mit der Kleinbahnverbindung von Alt-Rahlstedt nach Volksdorf eine Anbindung an die Eisenbahnstrecke Hamburg-Lübeck. Der Plan war aber, die Hamburger Gemeinden Großhansdorf/Schmalenbeck, Farmsen/Berne, Volksdorf und Wohldorf/Ohlstedt mit einer durchgehenden Bahnlinie an die schon bestehende Hochbahn-Ringstrecke (heute U3) anzubinden.
Dafür musste zunächst ein Staatsvertrag her, denn die genannten Gemeinden lagen als Hamburger Exklaven auf preußischem Gebiet. Im Februar 1912 war man sich einig, und die Arbeiten an der Walddörferbahn begannen umgehend. Bereits ein Jahr später waren die Erdarbeiten nahezu abgeschlossen. 15 Bahnhöfe mussten gebaut werden, etwa 70 Brücken und Überführungen waren geplant, denn auch das gehörte zur ambitionierten Weitsicht: An keiner Stelle sollte die Bahn eine niveaugleiche Kreuzung mit Straßen oder Wegen haben.
Der spektakulärste Kunstbau ist sicher die im Halbkreis aus dem Bahnhof Barmbek herausführende Stahlbrücke, die auch nach über 100 Jahren heute noch die S-Bahn Gleise, sowie Rübenkamp und Hellbrookstraße überspannt. Noch vor Ende des Ersten Weltkriegs konnten die ersten Fahrgäste ab September 1918 die neue Verbindung ausprobieren – allerdings noch nicht mit elektrischen Triebwagen, sondern mit zwei winzigen Dampfloks, die je einen Hochbahnwagen zogen. Kriegsbedingter Materialmangel bedeutete, dass zunächst keine seitlichen Stromschienen verbaut werden konnten. Das änderte sich zwei Jahre später. F
Fast genau vor 100 Jahren, am 6. September 1920, fuhr die Hochbahn erstmals elektrisch von Barmbek nach Volksdorf. Ein Jahr später war die Zweiglinie nach Großhansdorf unter Strom, 1925 dann auch die Strecke nach Ohlstedt. Eine geniale Verbindung, wenn man aus den Walddörfern „in die Stadt“ wollte, wobei anfangs die Route umgekehrt noch beliebter war: Man fuhr sonntags gerne zum Wandern in die grünen Walddörfer.
U1 ist die längste Strecke Deutschlands
Aufgewertet wurde die Walddörferbahn Barmbek-Volksdorf Anfang der 1960er-Jahre mit der heutigen U1, die sich vom Hauptbahnhof über Wandsbek Markt bei Wandsbek-Gartenstadt in die alte Stammstrecke einfädelt und mit ihrer Linienführung von Norderstedt nach Ohlstedt/Großhansdorf mit 55 Kilometern Streckenlänge und 47 Stationen die längste U-Bahn-Strecke Deutschlands ist.
Im Schnitt nutzen täglich circa 44.000 Fahrgäste (vor Corona) den Streckenabschnitt der Walddörferbahn zwischen Ohlstedt/Großhansdorf und Wandsbek-Gartenstadt. Bei laufendem Betrieb gebaut, ist der Bahnhof Oldenfelde zwischen Farmsen und Berne mit Eröffnung im Dezember 2019 eine weitere Station auf dem Weg in die Walddörfer.Im Bezug auf Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Anbindung und Zuverlässigkeit ist der Hamburger Bürgerschaft und der Hochbahn mit der Walddörferbahn ein großer Wurf gelungen!
Leider kam es seinerzeit, vermutlich wegen der hohen Kosten für Unter- bzw. Überführungen an der Eisenbahnstrecke Hamburg–Lübeck, nicht zu einer direkten Anbindung der Hochbahn an den heutigen S-Bahnhof Ahrensburg. Ein Tipp: machen Sie mal einen Ausflug mit der Walddörferbahn und suchen zu Fuß oder mit dem Rad ausgehend von der Endhaltestelle Großhansdorf die eigentliche Endstation dieser Strecke: Beimoor! (Hinweise finden sich im Internet). Diese Station wurde 1915 zwar gebaut, ging aber nie in den Betrieb. Heute ist der Bahnhof zugemauert, zugewuchert und ein Refugium für Fledermäuse – ein echter „Lost Place“.
Last modified: 4. September 2020