Der bekannte NDR-Ernährungsdoc Dr. Matthias Riedl ist ein Fan des 20:80-Prinzips. Das bedeutet: Man darf 80 Prozent seiner liebgewonnenen Ess-Gewohnheiten beibehalten und ändert nur 20 Prozent. Alles unter dem Motto: Iss dich gesund! Denn der Hamburger Arzt ist überzeugt davon, dass sich mit gesunder Ernährung selbst Diabetes Typ 2, Gicht, Migräne oder multiple Sklerose nicht nur verbessern, sondern heilen lassen. Das HEIMAT-ECHO hat mit ihm über schlechte Angewohnheiten, gute Öle und den Duvenstedter Brook gesprochen. Denn wo könnte man besser entspannen, frische Luft tanken und sich bewegen, als in Hamburgs einzigartigen Naturschutzgebiet?
Heimat-Echo: Dr. Riedl, so mancher von uns sieht aktuell das ein oder andere Kilo mehr auf der Waage. Lockdown, Homeoffice, lange geschlossene Fitnesstudios und Zwangspausen im Sportverein kombiniert mit deftigem Essen – das bleibt nicht ohne Folgen. Wie halten Sie sich aktuell fit?
Dr. Riedl: ich bin passionierter Schwimmer und Läufer und schnüre mehrmals die Woche die Laufschuhe. Mit meiner Frau entdecke ich immer wieder gern neue Laufreviere – besonders im Wald: Ob Elbe oder Duvenstedter Brook – in der Natur und besonders im Wald und bei Bewegung kann ich mich einfach am besten entspannen. Gerade der Norden von Hamburg gefällt mir besonders gut. Ein Naturschutzgebiet, das nur wenige Kilometer von der Innenstadt einer 1,8-Millionen-Stadt entfernt liegt, ist wirklich etwas ganz Besonderes. Der Vorteil von regelmäßigem Sport: Er verzeiht die ein oder andere Sünde, die auch ich mir ab und an gönne.
Heimat-Echo: Sie vertreten ja die These, dass man selbst Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Gicht oder Migräne mit einer anderen Ernährung nicht nur verbessern, sondern sogar heilen kann. Heißt das, man hat als Patient sein Schicksal wirklich selbst in der Hand?
Dr. Riedl: Man kann mit guter Ernährung Krankheitsbilder positiv beeinflussen. Immer öfter mache ich die Erfahrung, dass sich selbst aussichtslose und eigentlich für die Ernährungstherapie nicht zugängliche Fälle bessern. Es scheint so, als ob sich die westlichen Essgewohnheiten mittlerweile sehr weit von einer artgerechten Ernährung entfernt haben. Bei Diabetes Typ 2 oder Gicht ist der Zusammenhang ebenso klar wie bei Bluthochdruck oder erhöhten Blutfettwerten. Aber selbst Migräne, Colitis ulcerosa (eine Autoimmunerkrankung des Darms) oder multiple Sklerose sprechen auf Ernährungstherapie an.
Heimat-Echo: Warum aber wird die Ernährung in der Therapie bislang kaum berücksichtigt?
Dr. Riedl: Viele Ärzte glauben, dass Patienten ihre Ernährung nur kaum oder gar nicht ändern – als Beweis wird der mangelnde Erfolg von Abnehmdiäten angeführt. Allerdings sind die meisten Diäten veraltet und nutzlos. Es ist also vielmehr die falsche Methode, die zum Misserfolg führt.
Heimat-Echo: In Studien wird oft die mediterrane Kost als gutes Beispiel herangezogen, wie Ernährung und Gesundheit zusammenhängen.
Dr. Riedl: Das ist richtig. In Südeuropa treten beispielsweise seltener Herzinfarkte und Krebs auf. Ein ganz besonderes Beispiel sind die Tsimane-Indianer im Amazonas-Regenwald. Selbst im hohen Alter von über 90 Jahren konnten Forscher bei den etwa 700 Indianern nur selten verkalkte Herzkranzgefäße feststellen. Sie ernähren sich viel von Pflanzen, Wurzeln, Nüssen, Pilzen und Obst. Auf der japanischen Insel Okinawa gibt es deutlich mehr über Hundertjährige als im Rest der Welt. Neben sozialen Faktoren wie Stress, Umweltbedingungen und sozialem Zusammenhalt, spielt Ernährung eine wesentliche Rolle. Frisches Gemüse, Früchte, frischer Fisch, Nüsse – das macht eine gesunde Ernährung aus. Kuchen, Gebäck und Süßigkeiten sind Genussmittel. Und wie der Name schon sagt, sollte man sie genießen – aber nicht jeden Tag.
Heimat-Echo: Viele Menschen sind von der Informationsflut rund um die Ernährung überfordert. Was kann man noch essen? Was sollte man weglassen? Und bringt das alles überhaupt etwas? Gefühlt kommt jede Woche eine neue Studie heraus.
Dr. Riedl: Genau das ist der Grund, warum die seriöse Ernährungsforschung keinen Trends folgt. Die artgerechte Mischung entsteht automatisch auf dem Teller, wenn Sie sich ernähren wie ein Sammler und Jäger: Körner, Nüsse, Gemüse, ab und zu (zuckerarmes) Obst, Pilze, Kräuter, Gewürze, Fisch, mäßig Fleisch, keine Wurstwaren. Bei einer solchen Ernährung müssen Sie nicht viel rechnen oder abwiegen – und erst recht keine Kalorien zählen. Wenn Sie dann noch auf ein gesünderes Omega-3 und Omega-6-Verhältnis achten, sind sie rundum gut versorgt. Und nehmen nicht zu.
Heimat-Echo: Viele kennen die klassische Ernährungspyramide, die erklärt, wieviel Obst und Gemüse, Getreide, Milchprodukte, Fleisch, Fisch oder Eier und Süßigkeiten man essen darf oder sollte. Wie würde sich diese Pyramide nach Ihrem Prinzip gestalten?
Dr. Riedl: Auch ich habe eine einfache Formel, die man sich leicht merken kann: 20 Prozent Nudeln, Kartoffeln, Reis, Brot sowie hochwertige Öle und Fette. 30 Prozent Fleisch, Fisch, Eiweiß aus Eiern, Milch, Milchprodukten, Nüssen und Hülsenfrüchte. Und 50 Prozent Gemüse, Salat, Pilze und zuckerarmes Obst. Kein langes Kalorienzählen, abwiegen oder berechnen mehr.
Heimat-Echo: Einige ernähren sich generell schon gesünder, andere müssten vemutlich ihr gesamtes Leben ändern. Mal ehrlich: Kann das wirklich klappen? Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier und vieles schmeckt einfach viel zu lecker, als darauf zu verzichten.
Dr. Riedl: Es wird zumindest dann nicht funktionieren, wenn man von einem Tag auf den anderen alles ändert. Das kann niemand durchhalten. In meinem Zentrum gehen wir nach dem 20:80-Prinzip vor. Das heißt unter anderem, mit wenigen Veränderungen (20 Prozent) viel zu erreichen (80-100 Prozent) und dabei die meisten Gewohnheiten (80 Prozent) beizubehalten. Gut und gesund frühstücken und Mittag essen, dafür das sonst üppige Abendbrot reduzieren, zuweilen einen Fastentag einlegen. Statt Butter gute Öle verwenden, den Fleischkonsum reduzieren. Ich verspreche Ihnen: Gute Ernährung ist leichter als gedacht.
Heimat-Echo: Haben Sie DEN Tipp, wie man den Einstieg in eine gesunde Ernährung schafft?
Dr. Riedl: Einfach heute damit anfangen und sich langsam an die neuen Essgewohnheiten gewöhnen. Auch ein erfolgreicher Marathonläufer hat mal mit einem kleinen Lauf um den Block begonnen. Was ihn von vielen anderen unterscheidet: Er ist drangeblieben, hat kleine und große Tiefs überwunden, sich nicht entmutigen lassen und das Ziel im Auge behalten. Und er hat Spaß, bei dem, was er tut. Und das ist auch bei gesunder Ernährung wichtig: Sie muss Spaß machen. Und das tut sie auch.
Last modified: 4. September 2020