„Es ist schön, ruhig und sicher“
VOLKSDORF Im Schatten der großen Kirche stehen versteckt zwei kleine Häuser – die sogenannten Kirchenkaten. In ihnen leben zwei ehemalige Obdachlose. Die Idee: Durch die feste Adresse haben sie eine bessere Chance auf Wiedereingliederung in ein „normales“ Leben. Pastorin Gabriele Frietzsche ist vor Ort für sie zuständig.
Von Anja Krenz
Wer die Rockenhofkirche immer nur durchs Portal betritt und verlässt, wird von der Existenz der Kirchenkaten nichts ahnen. Erst wenn man die Kirche umrundet, entdeckt man die beiden kleinen, einzeln stehenden Häuschen. „Gebaut wurden die Kirchenkaten vor über 20 Jahren“, sagt Gabriele Frietzsche, Pastorin in der Kirchengemeinde Volksdorf und vor Ort für die Bewohner zuständig. „Zu der Zeit war das eine richtige Bewegung. Das Ziel war, Obdachlosen eine Adresse zu geben.“ Denn damals brauchte man einen festen Wohnsitz, um sich auf eine Arbeitsstelle bewerben zu können oder um ein Bankkonto zu eröffnen. Finanziert wurden die beiden Gebäude durch Spenden und einen Kredit, den die Gemeinde aufnahm. Durch die später eingehenden Mietzahlungen wurde der nach und nach abbezahlt. Zwölf Quadratmeter können die Bewohner ihr Eigen nennen. Ausgestattet sind die winzigen Unterkünfte mit allem, was man zum Leben braucht: Bett, Schrank, Tisch und Stühle. Es gibt ein Bad mit Dusche und eine Kochmöglichkeit. „Wir haben sogar kleine Waschmaschinen in unseren Kirchenkaten, weil es in ganz Volksdorf keinen einzigen Waschsalon gibt“, erklärt Pastorin Frietzsche. Die kleine Miete wird vom Jobcenter übernommen.
„Hauptsache, Arbeit!“
Gedacht waren die Kirchenkaten als Übergangslösung für ein halbes bis ganzes Jahr. „Danach sollten die Menschen in normalen Wohnraum umziehen“, sagt Frietzsche. Doch in der Praxis wurden daraus oft drei Jahre oder mehr. Bei der Kirchenkatenvergabe kooperiert die Gemeinde mit „Hinz & Kunz“, die laut der Pastorin eine lange Warteliste haben. Das Hamburger Straßenmagazin beschäftigt auch Sozialarbeiter, die in engem Kontakt mit den Verkäufern stehen. Zu ihnen gehörte Thomas Moser, der sich nach 20 Jahren Hamburg vorübergehend in Baden-Württemberg aufgehalten hatte. Als sich abzeichnete, dass er zurückkehren würde, rief er seinen Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer an und bat um Hilfe: „Er bot mir die Kirchenkate an, sagte aber, ich müsse noch 14 Tage woanders unterkommen.“ Diese Zeit überbrückte Moser im Pik As, einer städtischen Unterkunft für obdachlose Männer. „Es ging eigentlich. Wir waren zu viert auf einem Zimmer“, erzählt Moser. Das Schlimme sei gewesen, dass man bei Wind und Wetter morgens das Haus verlassen musste und erst abends wiederkommen durfte. Seit Mitte November wohnt er nun in seiner Kate. „Es ist sehr schön und sehr ruhig“, sagt er. Er komme zur Ruhe und fühle sich sicher. Der ehemalige Landwirt und gebürtige Thüringer hat seinen kleinen Vorgarten mit Primeln geschmückt und Beete angelegt. „Die Erdbeeren sind schon drin, aber demnächst kommt noch Gemüse rein, das im Geschäft sonst so teuer ist.“ Die Saat hat er schon besorgt – Erbsen, Bohnen und Möhren. „Ab Mai will ich mich um einen Job bemühen.“ Als Landwirt kann der 54-Jährige nicht mehr tätig sein, da sein Rücken kaputt ist und er nicht mehr als 20 Kilo heben darf. Falls jemand etwas für ihn hat, darf er sich gerne bei Pastorin Frietzsche oder ihm melden: „Ich bin nicht wählerisch. Ich nehmen alles – Hauptsache, Arbeit!“
Last modified: 7. April 2021