Die Schriftstellerin Tina Uebel
VOLKSDORF/ST.PAULI Sie ist in Volksdorf aufgewachsen, jetzt ist ihre Heimat St. Pauli. Sie hat die ganze Welt bereist, ihr neues Buch „Dann sind wir Helden“ trägt dennoch ganz viel Hamburg in sich. Eine Begegnung mit Tina Uebel, die Hafenstädte und die Berge liebt, und sagt, dass es auf dieser Erde keine langweiligen Orte gibt und Corona nicht kreativ macht.
Von Marius Leweke
„Mein Heimatgefühl gehört ganz klar St. Pauli.“ Tina Uebel ist keine Volksdorferin mehr, auch unser Treffpunkt auf der Claus-Ferck-Straße löst keine nostalgischen Gefühle aus. Mittlerweile hat die 1969 geborene den Großteil ihres Lebens rund um den Kiez verbracht, 20 Jahre davon direkt an der Reeperbahn. Dort lebt sie, dort arbeitet sie, dort macht sie Kultur. Sie gehört zu den Betreibern des Nochtspeicher, einem Veranstaltungsort für Musik, Kunst und Literatur, nur einen Steinwurf von den St. Pauli-Landungsbrücken entfernt. Letztes Jahr stand die Ehrung als „Bester Club der Stadt“ an. Dann kam Corona. „Wir haben in Eigeninitiative früher geschlossen als wir gemusst hätten“, berichtet Tina Uebel. „Diese Verantwortung haben wir gegenüber unseren Gästen.“ Die Bilder aus Italien und Spanien, wo sich die Menschen nur im engen Umkreis aus dem Haus bewegen durften, zieht die Autorin nach Österreich, wo sie „eine kleine Datscha“ geerbt hat. „Ich befolge alle Abstands-, Begegnungs- und Maskenregeln“, sagt sie. „Aber die Vorstellung, möglicherweise eingesperrt zu sein, halte ich nicht aus.“ Die Idee, die Zeit des Lockdowns zum Schreiben zu nutzen, hält sie für absurd. „Corona macht mich nicht kreativ.“ Sie hat mehr Sorge, wie die vielen im Tourismus tätigen Leute, denen sie auf ihren Reisen begegnet ist, jetzt über die Runden kommen. Gerade an einsamer gelegenen Zielen wie der Mongolei oder Nordsibirien würden gute Freunde, die vom Tourismus leben, Existenzkrisen erleiden. „Wenn ich darüber nachdenke, habe ich keinen Schreibimpuls, sondern überlege, wie ich meine Freunde dort unterstützen kann“, sagt Tina Uebel.
„Ich mag es gern krass“
Bei den Nomaden in Nordsibirien oder im Club auf dem Kiez: „Ich mag es gerne krass, richtig Stadt oder richtig weit weg“, sagt die Schriftstellerin. „Nichts entspannt weniger als Nichtstun.“ Seit ihr vor einiger Zeit ein Expeditionsleiter in der Antarktis Outdoor-Qualitäten bescheinigt hat, liebt Tina Uebel das Bergsteigen. Jeden Sommer ist sie mindestens vier Wochen in den Alpen unterwegs, am liebsten auf wenig begangenen Pfaden. Die Bergwelt und das Hamburg der G20-Krawalle bilden den Hintergrund ihres Romans „Dann sind wir Helden“, in dem die „Helden“ erleben, dass weder Schweizer Gipfel noch Schwarzer Block den Menschen ändern. „Ein zentrales Thema des Buches ist, dass die abenteuerliche Umgebung die innere Leere nicht automatisch füllt.“
Mit der langsamen Öffnung nach dem langen Lockdown hat Tina Uebel wieder Reisepläne, immer Corona-konform, wie sie betont. „Bergwandern auf dem Balkan steht auf dem Programm“, sagt sie. Auch der Nochtspeicher verlangt Arbeit, Veranstaltungen in dem beliebten Club müssen neu organisiert, Künstler gewonnen werden. Schließlich möchte sie irgendwann wieder bei den Freunden in aller Welt vorbeischauen und neue Plätze erkunden. Ob sie zum Schluss des Gesprächs für das Heimat-Echo einen touristischen Blick auf Volksdorf werfen mag? So oft sei sie nicht hier, überlegt sie. Es ist wohl schön, dass es einen Ortskern gibt, den viele Stadtteile Hamburgs nicht haben. Und dass es letztendlich von einem selbst abhängt, wie man sich wo wohlfühlt.
Dann sind wir Helden
Unerschrocken, witzig, sarkastisch und bisweilen melancholisch zeichnet Tina Uebel ihre vier unterschiedlichen Helden auf dem Weg ins nie zu erreichende Glück. Ruth, wohlhabende Mittfünfzigerin, geht in die Berge, Kathrin, kaum jünger, wird YouTube-Star, ihr Sohn Simon gerät in die G20-Krawalle in Hamburg und Jero, Bergführer in der Schweiz, ruht in sich und scheint das erfüllte Leben, das er führt, nur beiläufig wahrzunehmen. Die Wege des unterschiedlichen Quartetts kreuzen sich kaum, die vier sind dennoch auf unsichtbare Weise miteinander verbunden.
Last modified: 23. Juni 2021