Wie fit bin ich noch im Straßenverkehr?
ALSTERTAL/WALDDÖRFER Meinen Führerschein habe ich 1968 gemacht. Mit 53 Jahren unfallfreier Fahrpraxis fühle ich mich im Straßenverkehr fit. Doch bin ich das wirklich? Habe ich hinterm Steuer noch alles im Griff und den vollen Überblick? Das möchte ich wissen und mache den Test – den Fahrschultest.
Von Matthias Damm
Der Mann, dessen Team meine Fahrtauglichkeit auf Herz und Nieren testen soll, heißt Arne Ennulat von der gleichnamigen Fahrschule in Volksdorf. Er leitet mit seinem Bruder Christoph das Familienunternehmen mit sechs Filialen und 30 Fahrlehrern, alle im Bezirk Wandsbek. Meine Idee, freiwillig meine Fahrtauglichkeit testen zu lassen, findet er sehr gut, denn: „Es gibt heute viel komplexere Straßenverkehrsregeln, die Zahl der zugelassenen Pkw hat sich seit 1965 von knapp zehn auf 49 Millionen fast verfünffacht. Da kann man sich als älterer Mensch überfordert fühlen. Wir bieten gerne die Möglichkeit, die Fahrtauglichkeit zu testen.“
Nun wird es also ernst. Würde ich eine Prüfungsfahrt heute noch bestehen? „Ihr Fahrlehrer heißt Holger Wichers. Und, keine Sorge, das ist ein privater Test, das Ergebnis erfahren nur Sie!“, beruhigt Arne Ennulat. Na ja: Ab jetzt wissen es zumindest auch die Heimat-Echo-Leser.
„Immer schön links blinken…“
Auf geht’s: Beleuchtung überprüfen, Fahrersitz und Spiegel einstellen, starten. Wir fahren Richtung Meiendorf, in die Gegend, in der die Straßen nach Komponisten benannt sind. Übergreifen am Lenkrad? Ist heute keine Todsünde mehr wie früher, beruhigt mich mein Fahrlehrer. 30er-Zonen, rechts vor links, schmale Fahrbahnen mit vielen parkenden Autos, die Entgegenkommenden vorbeilassen. „Und immer schön links blinken, wenn Sie an parkenden Autos vorbeifahren“, sagt Holger Wichers.
Ordentlich in die Bremse treten
„Beschleunigen Sie jetzt mal auf 30 km/h, dann machen Sie auf mein Zeichen eine Gefahrenbremsung“. Alles klar, auf Kommando trete ich mit Kraft ins Bremspedal, das ABS spricht an, sofort steht der Wagen. „Gut so, viele trauen sich nicht, richtig ins Pedal zu latschen.“ Rückwärts einparken, Fahrtrichtung wechseln, alles soweit OK, schön, dass der Wagen eine Rückfahrkamera hat. „Trotzdem immer umdrehen und Schulterblick, ist sicherer!“, sagt mein Fahrlehrer. Ein HVV-Bus hält in seiner Bucht und mein prüfender Beifahrer meint, dass ich die Geschwindigkeit beim Vorbeifahren weiter reduzieren soll, denn es können plötzlich Personen vor dem Bus auf die Fahrbahn laufen. Und dann passierts. Ich übersehe in Rahlstedt ein 30er-Schild und bin mit 35 km/h unterwegs. „Hoppla, wie schnell wollen wir denn noch werden, Herr Damm? Eigentlich fahren Sie ja 30, wenn es dran steht – jetzt haben Sie es nicht gesehen. Kann passieren, aber ein Prüfer gibt Ihnen bei so etwas kaum eine zweite Chance“, kommentiert Holger Wichers.
Hoppla, beide Spuren müssen frei sein
Dann biege ich aus einer Nebenstraße rechts in die Bargteheider Straße ein. Die hat zwei Fahrstreifen in jede Richtung. Was ich nicht mehr auf der Rechnung hatte: Beide müssen frei sein, bevor ich mich in Bewegung setzen darf. „Man merkt Ihnen Ihre Routine an, Sie fahren vorausschauend. Die rechte Spur war frei und den Wagen auf der linken Spur haben Sie auch im Blick gehabt. In einer Prüfungsfahrt mit einem unerfahrenen Fahrschüler wäre es eine Ermessenssache des Prüfers, ob er es als Fehler wertet“, so mein Fahrlehrer. Fast sind wir wieder am Startpunkt. Im Uppenhof hat sich die Vorfahrtsregel geändert, hier gilt jetzt rechts vor links. Dem silbernen Mercedes hinter mir ist das offenbar noch nicht klar. Er überholt mich, während ich einem Wagen von rechts am Groten Hoff die Vorfahrt lasse. „Brandgefährlich“, meint Holger Wichers, „das ist das Problem mit Routine. Man kennt die alten Verkehrsregeln seit Jahren und tappt dann routiniert in die Falle.“
Meine Teststunde ist vorbei, das Auto wird „bitte verkehrssicher abgestellt“. Was bedeutet, dass auch die Lenkradsperre einrasten muss. Zack, wieder so ein Detail, das mir durchrutscht. „Insgesamt“, urteilt mein freundlicher Fahrlehrer, „haben Sie das mit einem zurückhaltenden, vorausschauenden und konzentrierten Fahren sehr routiniert und ordentlich gemacht. Vor einer Prüfungsfahrt hätten wir ja auch die eine oder andere Regel noch besprochen, heute sind Sie quasi ins kalte Wasser gesprungen.“
Nicht auf seiner Routine ausruhen
Mein Fazit: Man sollte sich auf Routine nicht ausruhen. Wer das Gefühl hat, unsicher zu werden, für den ist so eine Prüfungsfahrt eine gute Gelegenheit, seine Tauglichkeit zu überprüfen und sich neu zu erden – vor allem, wenn es um das verlässliche Erkennen von einem Zone-30-Schild geht.
Überprüfung der Fahrtaugllichkeit
Anders als zum Beispiel in den Niederlanden, Norwegen oder Schweden gibt es bei uns keine Pflicht zur regelmäßigen Überprüfung der Fahrtauglichkeit. In den genannten Ländern gilt sie ab 70, in Spanien sogar ab 45 Jahren. In Deutschland setzt Verkehrsminister Andreas Scheuer auf Freiwilligkeit: Eine Fahrtauglichkeitsprüfung oder Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) wird nur in begründeten Fällen angeordnet. Jeder Autofahrer hat aber die Möglichkeit, seine Tauglichkeit zum Führen eines Pkw in Eigeninitiative überprüfen zu lassen. Unter anderen bietet der ADAC einen Fahr-Fitness-Check an. Experten raten zu regelmäßigen Gesundheitschecks, zum Beispiel beim Hausarzt. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Seh- und Hörfähigkeit sollten einmal pro Jahr abgeklärt werden. Zusätzlich kann eine Übungsfahrt mit einem Fahrlehrer Aufschluss über mögliche Defizite geben.
Last modified: 1. Dezember 2021